Vertretung einer Aktiengesellschaft durch faktische Organe
Oktober 2022

Mein Arbeitsvertrag wurde durch eine Person gekündigt, die gemäss Handelsregisterauszug keine Zeichnungsberechtigung für die Arbeitgeberin hat. Ist die Kündigung rechtens ergangen?

Vertretung der Aktiengesellschaft

Die Aktiengesellschaft kann durch (i) den Verwaltungsrat, Delegierte des Verwaltungsrats oder Direktoren (d.h. als Organ gemäss Art. 718 OR), (ii) Prokuristen oder andere Bevollmächtigte (Art. 721 OR) oder (iii) Drittpersonen als zivilrechtliche Vertreter i.S.v. Art. 32 ff. OR, vertreten werden.

Bei faktischen Organen ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung (Art. 4A_455/2018) sodann höchste Vorsicht geboten. Es muss klar zwischen der Vertretung zum Abschluss von Rechtsgeschäften und der Zurechnung von unerlaubten Handlungen der Gesellschaftsorgane unterschieden werden.

Die Zurechnung von unerlaubten Handlungen der Organe an die Aktiengesellschaft beruht darauf, dass die Organe im Rahmen ihrer Organfunktion als Teile der juristischen Person handeln. Die Rechtsprechung im Zusammenhang mit unrechtmässigen Handlungen von (faktischen) Organen im Sinne von Art. 55 Abs. 2 ZGB sowie Art. 722 OR ist jedoch nicht anwendbar auf die Frage der Vertretung einer AG zum Abschluss eines Rechtsgeschäfts.

Die rechtsgeschäftliche Zurechnung von Handlungen der (faktischen) Organe beruht im Fall der Einschränkung ihrer inneren Befugnisse auf dem guten Glauben von Dritten (Art. 718a Abs. 2 OR). Ein faktisches Organ kann die Gesellschaft nicht direkt vertraglich bzw. durch Rechtsgeschäfte i.S.v. Art. 718 OR binden. Vielmehr muss bei diesen stets geprüft werden, ob dieses als zivilrechtliche Vertreter i.S.v. Art. 32ff. OR handeln. Ein Vertreter kann den Vertretenen (in solchen Fällen die Aktiengesellschaft) in drei Fällen binden (vgl. BGE 4A_455/2018 E. 7.1.):

  1. interne Bevollmächtigung i.S.v. Art. 32 Abs. 1 OR (beinhaltet Duldungs- oder Anscheinsbevollmächtigung)
  2. Mitteilung der Ermächtigung durch den Vollmachtgeber an einen Dritten i.S.v. Art. 33 Abs. 3 OR
  3. Nachträgliche Genehmigung bei fehlender Vollmacht i.S.v. Art. 38 Abs. 1 OR

Zur Kündigung

Aus dem Grundsatz der Klarheit der Kündigung sowie deren Bedingungsfeindlichkeit und Unwiderruflichkeit folgt, dass sie erst wirksam sein kann, wenn sie von der dafür zuständigen Person ausgesprochen worden ist. Die Arbeitnehmerin hat einen Anspruch darauf, während der ganzen Kündigungsfrist ohne Einschränkung zu wissen, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, ein Schwebezustand ist nicht zumutbar. Von einem Schwebezustand kann indes nur gesprochen werden, wenn die gekündigte Partei tatsächlich an der Verbindlichkeit der Kündigung zweifelt. Wird der Mangel geheilt, bevor die Arbeitnehmerin diesen bemerkt, bestand von ihrer Seite nie Unsicherheit über die Wirksamkeit der Kündigung.

Die vorstehenden Ausführungen sind sodann auch auf Kündigungen seitens der Arbeitgeberin anwendbar. Wird ein Arbeitsvertrag durch eine Person gekündigt, die weder formelles Organ noch zeichnungsberechtigt ist, so sind die Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Vertretung i.S.v. Art. 32 ff. OR zu prüfen. Dass der Mangel der Vertretungsmacht nachträglich geheilt werden kann, steht ausser Zweifel (vgl. Art. 38 Abs. 1 OR). 

 

Autorin

Diana Krasnic
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